Ein Original-Relais der „Oprema“ – das ersten DDR-Computers. In den Anfangsjahren waren die Modelle aus Ost und West technisch ebenbürtig.

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Die „Oprema“ bestand aus hunderten solcher Relais und erstreckte sich über zwei Stockwerke.

Der Quantensprung für Kopfrechner

Vor fast 60 Jahren wurde der erste Computer der DDR gebaut

Von Andreas Göbel

(Jena) Vom Westen weitgehend ignoriert wurde 1955 die „Oprema“, der erste Computer der DDR, in Betrieb genommen. Mit einer Fläche von 55 Quadratmetern und einem Stromverbrauch einer Glühbirne brachte das Ungetüm vor allem eines: Arbeitsersparnis.

„Das Ende der Sklavenarbeit des Optik-Rechners“ nennt Eberhard Dietzsch rückblickend die „Optische Rechenmaschine“ – kurz „Oprema“ – die vor fast 60 Jahren in Jena ihren Dienst aufnahm. Aus heutiger Sicht wirkt der Retter eher monströs. Über zwei Stockwerke zog sich die Konstruktion, 500 Kilometer Kabelstränge, fast 17.000 Relais und eine geschätzte Million Lötstellen waren zum Bau des Rechenautomats nötig gewesen.

Doch für Dietzsch und seine Kollegen aus der VEB Carl Zeiss Jena brachte das Gerät eine immense Erleichterung. Bis dahin hatten die menschlichen „Rechner“ eher einen tristen Alltag. Jeden Tag saßen sie sechs Stunden an der Berechnung der schier unendlichen Zahlenkolonnen, die bei der Konstruktion von Objektiven anfielen. „Eine fürchterliche, nervenzehrende Arbeit“, sagt Dietzsch.

„Aus heutiger Sicht ist die Einführung der Oprema in etwa vergleichbar mit der Erfindung der Dampfmaschine, die dem Menschen viel manuelle Arbeit abnahm“, ergänzt der mittlerweile 80-jährige Klaus Lösche, der als „Operator“ den Rechenautomaten bediente. Kalkulationen, die vorher teils über eine Stunde in Anspruch genommen hatten, konnten nun innerhalb von Sekunden angestellt werden, die Objektiv-Konstrukteure konnten sich voll und ganz der Entwicklung widmen. „Mit dem Computer wurden zudem Berechnungen möglich, die zuvor per Hand nicht machbar waren, weil sie viel zu komplex waren“, sagt Dietzsch.

Bis zur Fertigstellung der Oprema mussten einige Hürden genommen werden, erzählt Michael Fothe, der als Professor für Didaktik der Informatik und Mathematik an der Jenaer Friedrich-Schiller-Universität arbeitet. „Gleich nach dem Krieg hatten die Amerikaner viel Wissen, Technik und Fachleute aus Jena mit in den Westen genommen. Danach kam die Rote Armee und packte ein, was an Know-how übrig war“, sagt Fothe. Darunter auch die späteren Erbauer der Oprema, Wilhelm Kämmerer, Herbert Kortum und Fritz Straube.

Als deutsche Ingenieure waren sie nicht zum Arbeiten, sondern zum Vergessen nach Russland gebracht worden. „Fünf Jahre mussten die Männer auf der „Insel des Vergessens“ in der Nähe von Moskau ausharren“, sagt Fothe. Bei ihrer Rückkehr 1953 hatten die drei Männer ihre Baupläne bereits im Kopf bei sich., erdacht bei den ausgedehnten Spaziergängen im Exil. Sehr schnell wurden die Pläne angepackt.

„Unsere Vorgabe war es, nur handelsübliche Bauteile zu verwenden“, sagt Erwin Hecht, ein ehemaliger Oprema-Techniker, und zeigt dabei auf ein klobiges Relais in seiner Hand, das er beim Abbau der Maschine im Jahr 1963 retten konnte. „Eigentlich stammte alles aus der Fernmeldetechnik.“ Um Fehler zu korrigieren, war die Maschine zunächst als Doppelrechner aus zwei identischen Systemen ausgelegt worden. Als jedoch klar wurde, dass die Berechnungen absolut stabil verlaufen, wurden die beiden Maschinen getrennt und konnten eigenständig Kalkulationen durchführen.

Noch heute kommt Hecht bei der Erinnerung ins Schwärmen. „Immer wieder denke ich an die schöne Musik der Oprema“ – und meint damit die Geräusche, die die Rechenmaschine bei der Arbeit machte. „Wenn gerade eine Wurzel gezogen wurde, konnten wir das am Klappern der Relais hören.“ Schon bald nachdem sich herausgestellt hatte, wie schnell und zuverlässig das Gerät arbeitete, kamen auch bald Anfragen aus anderen Forschungszweigen, erinnert sich Lösche. Die Reichsbahn ließ Brückenschwingungen berechnen, auch Drehzahlen für Turbinen und Probleme der Kernforschung wurden kalkuliert – und dafür an den Wochenenden Sonderschichten der Operator eingerichtet. Sie arbeiten im Schichtbetrieb 24 Stunden, uns das meist jeden Tag der Woche.

Natürlich war die Oprema auch ein großes Thema in den Zeitungen – und letztlich auch für Agitation und Propagandazwecke. Das Gerät schaffe „die Addition zweier achtstelliger Zahlen in der unglaublich kurzen Zeit von Dreißig Milli-Sekunden“, heißt es etwa 1955 in einem Artikel aus dem „Neuen Deutschland“. Kämmerer und Kortum wurden später sogar mit dem Nationalpreis der DDR ausgezeichnet. Die Medien in der Bundesrepublik erwähnten die Oprema allenfalls am Rande.

„Dabei ist heute klar, dass die Anlage keineswegs eine bloße Kopie der Technologie aus dem Westen war“, ist sich Fothe sicher. „Die Oprema ist zweifellos eine bedeutende schöpferische Leistung – es steht außer Frage, dass eine eigenständige Entwicklung des Teams von Wilhelm Kämmerer war“, sagt der Professor. So setzten die DDR-Ingenieure zunächst etwa auf das Dezimalsystem als Grundlage – erst später wurde zum heute gebräuchlichen Dualsystem gewechselt. „Man darf nicht vergessen, dass es damals eine große technische Leistung war, überhaupt ein einziges Bit zu erzeugen“, sagt Fothe. „Die Jenaer können mit Recht darauf stolz sein.“

Die ehemaligen Mitarbeiter des Rechenzentrums sind bis eine eingeschworene Gemeinde. Die Wende brachte für die über 55-Jährigen die Arbeitslosigkeit. Etwa zwanzig Ehemalige treffen sich seit 1992 alle zwei Wochen zur Wandertour. Neben Oprema-Veteranen sind auch ehemalige Arbeiter am Nachfolgemodell, der ZRA 1 dabei.

Seit April 2013 erinnert eine Gedenktafel an der Fakultät für Mathematik und Informatik an der Universität Jena an die Oprema. Für viele Ehemalige ein längst überfälliger Schritt. Gleich gegenüber, im damaligen Bau 13a des Zeiss-Hauptwerkes hatte die Maschine gestanden.


Die Oprema in acht Daten:

– Die Optische Rechenmaschine (Oprema) wurde ab 1954 im VEB Carl Zeiss in Jena entwickelt.

– Nach einer Bauzeit von siebeneinhalb Monaten finden erste Testrechnungen statt.

– Im August 1955 nimmt die Maschine den Produktionsrechenbetrieb auf.

– Am 1. Januar 1956 wird die zweite Hälfte der Oprema, die eigentlich als Sicherung gedacht war, als eigenständiger Rechner in Betrieb genommen.

– Programmierung und Zahleneingabe wurden per Stecktafeln vorgenommen, das Gerät hatte 31 Speicherplätze.

– Ein Relais entsprach einem Bit.

– Die Anlage hatte eine Grundfläche von 55 Quadratmetern, zum Bau wurden fast 17.000 Relais, 500 Kilometer Kabel und etwa eine Million Lötstellen verbraucht.

– 1963 wurde die Maschine abgebaut.

Text und Fotos: Andreas Göbel für Spiegel Online
(Juli 2016)