Der Lockdown hat teils dramatische Auswirkungen auf die Schwimmausbildung in Thüringen
Erfurt. Die Schwimm- und Wasserrettungsverbände warnen vor den Langzeitfolgen des Lockdowns: „Durch die Bäderschließungen sind jetzt schon fast zwei Generationen von Schwimmschülern weggebrochen“, erklärt Jenny Joel, Geschäftsführerin des Thüringer Schwimmverbands. „Sicheres Schwimmen ist eine Grundfertigkeit, die jeder beherrschen sollte.“ Grundsätzlich gehe dabei natürlich um den Schutz vor dem Ertrinken. Aber der sichere Umgang mit Wasser sei auch eine Frage der Teilhabe – etwa, wenn es um den Urlaub oder gemeinsame Aktivitäten in der Schule, mit Freunden oder der Familie gehe. Doch auch die Mitgliedergewinnung in den Vereinen und Verbänden und damit auch die Ausbildung von Schwimmlehrern und letztlich der Schwimmsport seien langfristig bedroht.
In den Thüringer Schulen ist Schwimmunterricht eigentlich verbindlich in den dritten und vierten Klassen im Lehrplan vorgesehen. Dem Bildungsministerium zufolge konnten bis zum Lockdown im Herbst 2020 aber nicht alle Nachhol-Schwimmkurse für Viertklässer aus dem ersten Lockdown abgeschlossen werden. In machen Regionen habe bisher noch überhaupt kein Schwimmunterricht für Drittklässer stattfinden können.
Wie dramatisch die Ausfälle sind, belegen auch die Zahlen der Deutschen Lebensrettungsgesellschaft (DLRG): Deren Ausbildungs- und Prüfungszahlen seien 2020 im Vergleich zu den Vorjahren um 70 bis 75 gesunken, erklärt Harry Sloksnat, Präsident des DLRG Landesverbands Thüringen. So hätten im vergangenen Jahr nur 384 Personen erfolgreich das Deutsche Schwimmabzeichen abgelegt. „Ohne Pandemieeinschränkungen bewegen wir uns normalerweise bei bis zu 1400 Prüfungen im Jahr.“ Besonders dramatisch seien die Schließungen auch im Bereich des Rehabilitationssportes für Menschen mit Handicap, ergänzt Jörg Kleinsteiber von der Thüringer Wasserwacht.
Wie diese Lücken aufzuholen sind, ist unklar: Schon vor den coronabedingten Schließungen seien die Wartelisten für Schwimmkurse in ganz Thüringen lang gewesen, erklärt Kleinsteiber. Mit jedem weiteren Monat werde die Ausbildungswelle, die sich anstaue, größer. „Es ist fraglich, wie sich das wieder abbauen lässt“, ergänzt Sloksnat. Das Ministerium arbeitet Sprecherin Lisa Bönsel zufolge „derzeit an einer Konzeption zur Absicherung des Schwimmunterrichts noch in diesem Schuljahr“. Genauere Auskünfte wollte das Sozialministerium bisher nicht geben.
Nur durch eine gemeinsame Kraftanstrengung gebe es möglicherweise eine Chance, die Ausfälle nach dem Ende des Lockdowns wieder auszugleichen, sind sich die Experten von Schwimmverband, DLRG und Wasserwacht einig. Das Nadelöhr seien dabei die Bäder: Vereine und Verbände hätten in den kommunal- oder privat geführten Bädern teils nur sehr eingeschränkte Möglichkeiten, Kurse anzubieten. Um das Problem zu lösen, müssten alle an einem Strang ziehen, sagt Sloksnat.“Wir würden uns alle wünschen, dass nach dem Lockdown alle Anbieter unkompliziert zusätzliche Angebote machen können.“
Zusätzliche Sorgen bereitet den Experten die finanzielle Situation der Bäder: „Unsere Anlagen laufen in verminderten Betrieb weiter“, erklärt Anke Roeder-Eckert von den Stadtwerken Erfurt stellvertretend für viele Badbetreiber. Das Wasser in den Schwimmbecken könne nicht einfach abgelassen werden, weil sonst rasch Schäden entstünden. Die Zeit sei zwar genutzt worden, um Inspektionen durchzuführen. Dennoch sei die Lage der SWE Bäder derzeit kritisch. Angesichts drohender Einsparungen in kommunalen Haushalten befürchten Vereine und Verbände nun ein Bädersterben – sowohl von Seiten der privaten Anbieter als auch im kommunaler Bereich. „Es muss sichergestellt werden, dass der Betrieb überall auch nach dem Lockdown weitergehen kann“, sagt Joel. Sonst sei langfristig die Basis der Arbeit von Schwimmvereinen bedroht.
Andreas Göbel für dpa