Im Umgang mit der Corona-Krise haben die Bibliotheken viel Einfallsreichtum bewiesen. Dennoch sind sie von den Einschränkungen hart getroffen.
Erfurt/ Ilmenau/ Sömmerda/ Gera. Die Stadt-, Kreis- und Universitätsbibliotheken in Thüringen sind bisher verhältnismäßig gut durch die Corona-Krise gekommen. „Insgesamt war die Nachfrage schon geringer, aber die Rückgänge sind nach derzeitiger Schätzung nicht sehr dramatisch“, erklärt Sabine Brunner, Leiterin der Landesfachstelle für öffentliche Bibliotheken in Thüringen. Vor allem bei der Online-Ausleihe habe es deutliche Zuwächse gegeben, verlässliche Zahlen dazu gebe es aber erst im Januar. Die Nachfrage zeige, wie wichtig öffentliche Bibliotheken auch in Krisenzeiten seien. Tragisch sei es für die Einrichtungen, dass die Nutzung von Bibliotheken als „städtisches Wohnzimmer“ unmöglich geworden ist – und der hart erarbeitet Imagewandel möglicherweise Schaden nimmt.
„Es hat lange gedauert, bis das Konzept von der Bibliothek als Begegnungs- und Arbeitsort im öffentlichen Raum in den Köpfen angekommen ist“, sagt Beatrice Fischer, stellvertretende Leiterin der Stadt- und Kreisbibliothek Sömmerda. „Es ist sehr bedauerlich, dass wir nun im wesentlichen wieder ein reiner Ausleihort geworden sind.“ Auch die Universitätsbibliotheken seien von den Einschränkungen vor stark betroffen, ergänzt Milena Pfafferott, Vorsitzende im Landesverband Thüringen im deutschen Bibliotheksverband. „Die Bibliothek ist ein sehr produktiver und gefragter Arbeitsplatz für Studierende, weil dort konzentriertes Arbeiten ohne Ablenkung sehr gut möglich ist. Dass die Bibliotheken diesen Arbeitsraum aktuell nur sehr begrenzt zur Verfügung stellen können, ist ein großes Problem.“
Wie die meisten anderen Einrichtungen mussten die Bibliotheken in Thüringen von Mitte März bis Ende April 2020 geschlossen bleiben. Nach der Wiedereröffnung wurde der Betrieb langsam wieder hochgefahren. In vielen Bibliotheken ist der Betrieb Brunner zufolge aktuell im wesentlichen auf die Ausleihe beschränkt, zusätzliche Angebote sind allenfalls in kleinem Rahmen möglich. Besonders schwerwiegend war der Lockdown zum Beispiel für die Bibliothek in Gera: „Wir hatten in diesem Jahr viele Veranstaltungen und Feiern für unser 100-jähriges Jubiläum geplant, die wir alle verschieben mussten oder nur in einem sehr beschränkten Rahmen durchführen konnten“, sagte der Leiter der Stadt- und Regionalbibliothek Gera, Rainer Schmidt. Im kommenden Jahr soll das Jubiläum, sofern die Umstände es zulassen, in Teilen nachgeholt werden. Unter anderem im Rahmen des Literaturfestivals „Stadtlesen“, bei dem Gera in diesem Jahr als erste Thüringer Stadt hätte teilnehmen sollen.
Um die Bücherversorgung auch in Zeiten des Lockdowns sicherzustellen, haben die verschiedenen Einrichtungen indes viel Erfindungsreichtum an den Tag gelegt. „Bereits einen Tag nach der Schließung haben wir angefangen, einen Bücher-Lieferdienst einzurichten“, erklärt Fischer. Mit dem Lastenfahrrad wurden Bücher zu den Kunden gebracht und Kontaktlos übergeben. „Dieses Angebot wurde sehr gut angenommen.“ Unter anderem wurde in Heiligenstadt eine Theke ins Fenster der Bibliothek eingebaut, um die Ausleihe weiter aufrecht zu erhalten, ergänzt Brunner. Um das Infektionsrisiko gering zu halten, mussten die Bücher nach der Rückgabe zudem vielerorts in Quarantäne: In einem abgesonderten Raum wurden die Bücher 72 Stunden gelagert, bevor sie wieder entliehen werden konnten.
Einen Schub hat die Coronakrise erwartungsgemäß vor allem bei der Nachfrage nach Online-Medien gebracht. „Die ‚Onleihe‘ boomt natürlich“, fasst Brunner zusammen. Aktuell nähmen 58 Bibliotheken in Thüringen an der Online-Leihplattform „Onleihe“ teil. Alleine 2020 seien vier Einrichtungen dazu gekommen. „Sogar Bibliotheken, die sich den digitalen Angeboten bisher grundsätzlich verweigert haben, sind inzwischen dabei – und extrem begeistert.“ Auch an den Universitätsbibliotheken ist der Trend zum Digitalen spürbar. „Im wissenschaftlichen Bereich gab es da natürlich einen Vorsprung, weil dort Veröffentlichungen im Online-Formate schon lange üblich sind, dennoch hat die Nachfrage noch einmal angezogen“, sagt Pfafferott.
In Thüringen gab es der Landesfachstelle zufolge im Jahr 2019 insgesamt 240 Stadt- und Gemeindebibliotheken mit rund 2,1 Millionen Besuchern und 6,3 Millionen Entleihungen. Bibliotheksneugründungen gab es etwa in Dornburg oder Ohrdruf. 82 Prozent der Thüringer leben demnach in Kommunen mit mindestens einer öffentlichen Bibliothek. Die Universitätsbibliotheken hatten 2019 rund 134.000 registrierte Nutzer, etwa die Hälfte davon extern.
Andreas Göbel für dpa
(Dezember 2020)