Weiche Wolle von riesigen Kaninchen: „seidenhase.de“ ist die derzeit einzige Angoramanufaktur in Deutschland.

Angorakaninchen liefern begehrte Wolle, die achtmal so warm ist wie Schafwolle. Foto: Andreas Göbel. 14.11.1214

Angorakaninchen liefern begehrte Wolle, die fünf mal so warm ist wie Schafwolle.

Traumhafte Wolle vom Seidenhasen

In der Nähe von Gotha gibt es die einzige professionelle Angora-Manufaktur in Deutschland

Von Andreas Göbel

Sichtlich entspannt sitzt Hase Norbert auf dem Schoß von Claire Metz in einem Garten in Cobstädt bei Gotha. Heute genießt er gleich doppelt: Während die letzten Sonnenstrahlen des Jahres Mensch und Tier wärmen, wird der stattliche Angora-Rammler von seinem dichten Fell befreit. Behutsam und mit gekonnten Handgriffen fallen die Büschel, bis der komplette Hase geschoren ist.

„Im Schnitt wachsen die Haare der Kaninchen einen Zentimeter pro Woche“, erklärt Metz. Im Jahr kommt so bis zu einem Kilo der begehrten Fasern zusammen – pro Tier. Nach dem Scheren kommt Norbert wieder in sein Gehege und wirkt erleichtert, dass der dicke Pelz weg ist. Angora gilt bis heute als der Mercedes unter den Wollsorten: Achtmal so warm wie Schafwolle, hochgradig atmungsaktiv und so weich, dass man bei der Berührung kaum unter den Händen spürt. So verwundert es nicht, dass die Tiere auch „Seidenhasen“ genannt werden.

Einst war Deutschland eines der führenden Länder in der Angora-Produktion. „In den 1980er Jahren wurde jedoch fast die gesamte deutschen Angorapopulation von Chinesen aufgekauft und in den fernen Osten verschifft. China gilt seitdem als Weltmarktführer und produziert Angorawolle im industriellen Maßstab. Wegen der Massentierhaltung ist Angora in den vergangenen Jahren in Verruf geraten. Das genau will Claire Metz mit ihrer Produktion ändern: Ihre Tiere leben in überdachten Freigehegen in kleinen Gruppen. „Sie können hoppeln und buddeln, Gitterroste wie in der Massenhaltung gibt es nicht.“ Das sei auch gar nicht nötig, sagt Metz. Die Tiere hielten sich selbst so sauber, dass die Wolle ungewaschen verarbeitet werden könne.

Generell sei es schade, wie viel Wissen um die Angoraproduktion bereits verloren gegangen sei.“Deutsches Angora hat bis heute weltweit den besten Ruf wegen der hochwertigen Qualität. Leider gibt es fast keinen Züchter-Nachwuchs, diese Tradition steht bei uns vor dem Aussterben.“ Anstatt die gut an das europäische Klima angepassten Angorakaninchen zu züchten, seien derzeit Alpakas oder Lamas in Mode. „Dabei müssen wir eigentlich gar keine exotischen Tiere importieren, um hochwertige Wolle zu erhalten.“

Zu den Seidenhasen kam die hübsche junge Frau durch Zufall. Eigentlich hat Metz Modedesign studiert. „Beruflich hatte ich deshalb viel mit Textil zu tun und wollte irgendwann meine eigenen Fasern“, erklärt sie. „Für mich kamen da nur Kaninchen infrage, weil ich sie ohne großen Aufwand im heimischen Garten halten kann.“ Aufgrund der großen Nachfrage nach handgearbeiteten Angoraprodukten von „glücklichen“ Kaninchen sei aber schnell klar geworden, dass aus dem Hobby ein Hauptberuf wird. Von ihrem kleinen Haus im Herzen Thüringens aus betreibt sie heute die einzige professionelle Angora-Manufaktur in Deutschland.

„Früher gab es hier viele Angora-Züchter und Spinnereien, ich verbinde beides in einem einheimischen Handmade-Produkt.“ Das gehe so weit, dass einige Erzeugnisse sogar bestimmten Hasen zugeordnet werden könnten. Die Wolle wird zum Teil per Hand, meist aber maschinell in einem kleinen Betrieb im Sauerland gesponnen. „In einer der letzten einheimischen traditionellen Spinnereien, in denen man Rohwolle in kleinen Partien spinnen lassen kann – auf tollen, alten Maschinen“, sagt Metz mit einem Lächeln. Die fertigen Garne werden dann per Hand gefärbt und teilweise verstrickt. Ein anderer Teil der Produktion wird in selbst gefilzte Schals verarbeitet. Vor allem Wollstränge aus 100 Prozent Angora seien bei Strickfans hoch im Kurs.

Verkauft wird auf Wollmärkten in ganz Deutschland, im heimischen Hoflädchen oder per Internet in die ganze Welt. In Cobstädt werden sogar Filzkurse angeboten, bei denen eigene Accessoires wie Schals aus Angora gefilzt werden können. „Zwar ist noch viel Aufklärungsarbeit nötig, um das schlechte Image loszuwerden, das dem Produkt teilweise noch anhängt“, sagt Metz. „Die Nachfrage nach handgemachten, einheimische Angoraprodukten ist aber sehr hoch.“

Text: Andreas Göbel